Marco di Carli übt Kritik an Auswahlkriterien für Weltmeisterschaft

by Daniela Kapser 2

June 20th, 2017 Deutsch

Der vielfache deutsche Meister und Rekordhalter über 100 m Freistil, Marco di Carli übt harte Kritik an den Auswahlkriterien für die Weltmeisterschaften in Budapest. Di Carli ist vom Wettkampfsport zurückgetreten und wurde im Rahmen der Deutschen Meisterschaften in der letzten Woche gemeinsam mit Paul Biedermann und Steffen Deibler aus der Nationalmannschaft  verabschiedet.

“Kann mir bitte einer die WM-Nominierungen näher erläutern? Auch nach jahrelanger Erfahrung in der Natinalmannschaft lässt diese Nominierung wieder einige Fragezeichen aufkeimen” ist für Marco di Carli die Ausgangslage. Er hinterfragt die grundlegende Vorgehensweise der Nominierung, wenn zwar harte Normen gesetzt, dann aber nicht in letzter Konsequenz danach nominiert wird. So scheinen ihm einige Entscheidungen von Cheftrainer Henning Lambertz und dem Nominierungsgremium nicht schlüssig, wenn nachnominiert wird aufgrund der möglichen Perspektive einer Finallerreichung, die sich aber, im Gegensatz zu den Basis-Nominierungsstandards, nicht an Rio 2016 sondern an den Ergebnissen der Weltmeisterschaften 2015 in Kasan orientiert.

In den Nominierungsrichtlinien heißt es übrigens:

…. (2)Zur Nominierung für Einzelstrecken können grundsätzlich die zwei zeitschnellsten Athleten vorgeschlagen werden, die die Qualifikationszeitender unten dargestellten Tabellen 1)
oder 2)im Rahmen der DM 2017erreicht bzw. unterboten haben.
(3)Zur Nominierung für Staffelstrecken können die vier jezeitschnellsten Athletenvorgeschlagen werden, die im Rahmen der DM 2017in der Addition ihrer Zeiten
minus 1,5 sec die in Tabelle 1) aufgeführten Zeiten erreicht oder unterboten haben. Über die Besetzung dieser Staffel entscheidet der Chefbundestrainer vor Ort.
Weiterhin gibt es aber durch das Nominierungverfahren durchaus noch Spielraum:
(1)
Die Nominierungsberatung erfolgtinnerhalb einer Woche nach dem jeweiligen Qualifikationswettkampf bzw. Qualifikationszeitraum. Die endgültige Entscheidung über
die Nominierung der Athleten erfolgt durch den Nominierungsausschuss, im Falle keiner mehrheitlichen Entscheidung im Einzelfall gibt das Votum des
Chefbundestrainers den Ausschlag.
(2)
Der Nominierungsausschuss besteht aus folgenden Teilnehmern:
Chefbundestrainer
Bundestrainer Diagnostik und Wissenschaft
Trainersprecher/in
Aktivensprecher/in
Bundestrainer Junioren
Bundestrainerin Jugend für ihre jeweiligen Maßnahmen
(3)
Die Nominierung erfolgt nach folgenden Kriterien:
-Ergebnis des jeweiligen Qualifikationswettkampfs
-Internationale Leistungsbilanz 2016/2017
– Perspektivische Einschätzung
– Leistungsentwicklung im vergangenen Jahr
– konsequente Führung der Trainingsdatendokumentation

Marco di Carli schreibt in einem vielbeachteten und mit sehr viel Zuspruch versehenem Kommentar auf seiner Facebook-Seite:

“Kann mir bitte einer die WM-Nominierungen näher erläutern? Auch nach jahrelanger Erfahrung in der Nationalmannschaft lässt diese Nominierung wieder einige Fragezeichen aufkeimen:

1. Wozu haben wir Normen, wenn der/das Bundestrainer/Gremium sich trotzdem nicht daran hält?

2. Wieso wird die 4x200m Freistil-Staffel der Herren nominiert, die 0,48sek über der Norm schwamm, die Mädels der 4x100m Lagen-Staffel müssen aber mit dem Ofenrohr ins Gebirge schauen, obwohl sie die Norm um lediglich 0,23sek verfehlten?

Da Henning Lambertz ja zu Protokoll gegeben hat, die 4x100m Lagen-Mixed-Staffel wäre nominiert, da sie in der Addition sicher das Finale von Kazan erreicht hätte, habe ich mir die Mühe gemacht, zu recherchieren, welche Platzierungen die anderen Staffeln mit der DM-Leistung in Kazan erreicht hätten:

Frauen:
4×1 F 11. Platz (Vorlauf)
4×2 F 8. Platz Vorlauf / 7. Platz Finale
4×1 L 7. Platz Vorlauf / 7. Platz Finale

Herren:
4×1 F 8. Platz Vorlauf / 7. Platz Finale
4×2 F 5. Platz Vorlauf / 6. Platz Finale
4×1 L 4. Platz Vorlauf / 8. Platz Finale

Bis auf die 4x1F der Frauen hätten also alle Staffeln eine Finalchance.
“[…]In Addition der Einzelzeiten von Berlin hätte das Team in der schnellsten Aufstellung bei der WM 2015 in Kazan sicher das Finale erreicht.[…]” (Zitat Henning Lambertz auf der Homepage des DSV)
-> Wieso wurden dann nicht alle Staffeln mit Finalchance nominiert?
-> Womit wird die Nichtnominierung der 4×1 L Frauen begründet, wenn sie rechnerisch näher an der Norm (im Vergleich zur 4×2 F Männer) ist und ebenso Finalchancen hat?

3. “[…] Mit der Nominierung wollen wir ein klares Zeichen dahingehend setzen, dass es mit der ehemaligen Königsstaffel weitergehen wird.” (Zitat Henning Lambertz auf der Homepage des DSV)
-> Ist damit im Umkehrschluss davon auszugehen, dass Henning Lambertz alle anderen Staffeln nicht als förderungswürdig ansieht?

Was heißt in diesem Kontext “[…] wollen WIR ein klares Zeichen setzen”?
Punkt 4.1.1 (4) der Nominierungsrichtlinien:
“[…] Nominierungen im Interesse eines erfolgreichen Abschneidens des Verbandes bei der jeweiligen Meisterschaft können auch bei Nichterreichen der jeweiligen sportlichen Nominierungsanforderungen für einzelne Athleten DURCH DEN CHEFBUNDESTRAINER ausgesprochen werden […]”
-> Ich gehe also davon aus, dass die Entscheidungsgewalt allein Henning Lambertz unterliegt.

Mal ganz von den Spannungen über Leistungssportreform, Trainingskonzeption und Arbeitsverträgen abgesehen, erachte ich dieses Vorgehen als grob unfair gegenüber den 2 Mädels, die nicht nominiert wurden (Anna Dietterle – Offizielle Fanpage & Vanessa Grimberg) – mal abgesehen von den möglichen Kandidaten der 4×2 F Frauen und 4×1 F Herren.
Wer harte Normen ansetzt, sollte sich vielleicht auch daran halten, sofern er Ernst genommen werden will. Mit diesem Ganzen “mal Hüh, mal Hott” wird der deutsche Schwimmsport vermutlich auf keinen grünen Zweig kommen.

Ich gratuliere allen Sportlern zur Nominierung, und Allen, die übergangen wurden, drücke ich die Daumen, dass ihr Durchhaltevermögen habt und im nächsten Jahr beweist, was ihr drauf habt!

#instanthatein321
#manwirdjawohlmalfragendürfen
#galileomysteryteambitteklärensieauf “

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CoachHeiko
7 years ago

Wahre Worte Marco !!!
Ich muss dabei ständig an die Geschichte mit Markus Deibler und dessen Nicht-Nominierung für die Kurzbahn WM 2014 denken (DR bei der DM über 200m La und Platz 2 in der Weltjahresbestenliste).

Die ganze Schwimmwelt lachte sich damals „über uns“ kaputt.
Und das schlimme ist, das dieses Situation von Jahr zu Jahr die Gleiche ist. „Lerneffekt“ gleich null.
Dass Schwimmer die Deutsche Rekorde aufstellen, es nicht wert sind, für eine WM nominiert zu werden, ist gelinde gesagt ein Witz.
Ebenso solche Konstellationen – Im Finale eine Norm unterboten, aber im Vorlauf die schwächere Norm nicht geschafft – dann wird man halt nicht nominiert.
Und dann gibt es die Fälle wo Normen… Read more »

Klaus Hüsing
7 years ago

Habe gerade einen interessanten und “schlauen” Kommentar von Marco’s Ex-Coach, Dirk Lange, als Mail erhalten, der auch noch an einige andere Schwimmsportmedien gegangen ist!

Dirk Lange schrieb eben um 7:58 Uhr:

Hallo Klaus

leider schließt sich Marco mal wieder der üblichen Vorgehensweise in Deutschland an und übt erst dann”Kritik”, nachdem er “sicher” ist und aufgehört hat. Als er noch aktiv war, kam zu keiner Sache irgendetwas von ihm. Darüber hinaus habe ich keinen fundierten Lösungsansatz gefunden, als alle Sportler zu nominieren. Damit läuft man in der Öffentlichkeit immer “offene Türen” ein.

Gruss

Dirk

D. Lange

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Dirk Lange
DLP – Dirk Lange Personal Training GmbH
Austria, Burgfriedweg 3, 8010 Graz [email protected]