Nach einer 1. Stellungnahme, folgte heute die nächste Veröffentlichung des Deutschen Schwimmverbandes e.V. (DSV) zur ARD Dokumentation “Missbraucht. Sexualisierte Gewalt im deutschen Schwimmsport.” Die Dokumentation wurde zunächst am 18.08. in der ARD Mediathek veröffentlicht und Samstagabend dann in der ARD ausgestrahlt.
Hier die DSV Stellungnahme im Wortlaut:
“Die Erlebnisse sexualisierter und sexueller Gewalt, die in der jüngsten ARD-Dokumentation „Missbraucht“ geschildert wurden, erschüttern uns im Deutschen Schwimm-Verband e.V. nicht weniger als den Rest der Sportwelt. Dass Menschen wie Jan Hempel den Mut aufbringen, sich an die Öffentlichkeit zu wenden, ist enorm wichtig und erfordert ein besonderes Maß an Mut und auch Größe. Wir begrüßen die Berichterstattung darüber, denn sie zeigt, dass es trotz aller Fortschritte und Bemühungen in der jüngeren Zeit dringend weiterer Veränderungen in der Verbandskultur bedarf.
Wir möchten uns an dieser Stelle aufrichtig bei allen Menschen entschuldigen, die jemals Gewalt, gleich, ob körperlicher, seelischer oder sexueller Art, im deutschen Schwimmsport erleben mussten. Wir können Taten aus der Vergangenheit leider nicht mehr ungeschehen machen, aber als die aktuell Verantwortlichen tun wir alles in unserer Macht Stehende, um solche unfassbaren Taten jetzt und in Zukunft zu verhindern.
Das Thema Prävention von Gewalt hat heute einen wesentlich höheren Stellenwert in unserem Verband als in vorherigen Jahrzehnten. Die Strukturen und Konzepte wurden in den vergangenen Jahren verbessert und werden kontinuierlich erweitert.
Der DSV hat daher umgehend nach erstmaligem Bekanntwerden der Vorwürfe Jan Hempels durch eine Anfrage der ARD am 11. August 2022 folgende Maßnahmen ergriffen:
- Die Präventionsbeauftrage Franka Weber, die sich seit Anfang 2020 mit größtem Engagement und im Ehrenamt der Prävention, Intervention und Aufarbeitung von Fällen sexualisierter Gewalt widmet, hat alle in der ARD-Dokumentation namentlich auftretenden Personen kontaktiert und ein Hilfsangebot unterbreitet sowie um weitere Informationen gebeten, die zur Aufklärung der Fälle beitragen können.
- Mit der Veröffentlichung der ARD-Dokumentation am 18. August 2022 erlangte der Vorstand erstmalig Kenntnis von den Vorwürfen gegenüber Lutz Buschkow. Noch am selben Tag wurde Herr Buschkow mit sofortiger Wirkung und bis zur Klärung der Vorwürfe von seinem Posten freigestellt. Bis zum Abschluss der Ermittlungen gilt allerdings die rechtsstaatliche Unschuldsvermutung.
- Der DSV-Vorstand fordert aktuell außerdem Stellungnahmen aller Verantwortlichen des Verbandes seit 1997 ein, um herauszufinden, ob Kenntnis über die Vorwürfe Jan Hempels bestand.
Der Prozess der Aufarbeitung hat begonnen und ist im Sinne der Gründlichkeit nicht innerhalb von wenigen Tagen abzuschließen. Wir möchten uns an dieser Stelle aber schon einmal ausdrücklich dafür bedanken, dass einzelne Personen das Gesprächsangebot mit dem DSV bzw. seiner Präventionsbeauftragten angenommen haben und uns so bei den notwendigen Prozessen unterstützen. Gleichzeitig möchten wir mit dieser Stellungnahme alle Menschen, die Kenntnis von Gewalttaten haben – sei es aus der Vergangenheit oder der Gegenwart – darum bitten, sich mit dem DSV oder einer offiziell anerkannten unabhängigen Beratungsstelle in Verbindung zu setzen. Wir haben in den vergangenen drei Tagen bereits diverse Hinweise zu den Fällen von vor 30 Jahren bekommen, denen wir entschlossen nachgehen, denn Schweigen schützt immer die Falschen.
Die Prävention, Intervention und Aufarbeitung von Fällen sexualisierter Gewalt bilden eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, der wir uns im Rahmen unserer Möglichkeiten bestmöglich stellen. Jede Person, die Teil unseres Verbands ist, muss sich daher unseren moralischen Ansprüchen stellen. Tut sie es nicht, ist sie für uns nicht tragbar. Diesen Satz wiederholen wir heute mit genau dem gleichen Nachdruck wie 2021, als wir mit dem Fall des ehemaligen Bundestrainers Stefan Lurz konfrontiert wurden.
Die auf verschiedenen Ebenen umfangreiche Aufklärung dieses Falls hat uns seither aber auch aufgezeigt, dass man als Verband mit höchsten moralischen Ansprüchen mitunter schnell an rechtliche, strukturelle und auch finanzielle Grenzen stößt. Deswegen sind wir und alle anderen Sportorganisationen zwingend auch auf Unterstützung übergeordneter Institutionen angewiesen, um in aller Konsequenz für die Umsetzung unserer Ziele gewappnet zu sein – für ein sicheres Umfeld im Sport und eine bessere Gesellschaft insgesamt.
Die Intensität, mit der sich mit der Thematik beschäftigt werden kann, hängt immer auch stark von personellen Ressourcen und Qualifikationen ab. Sowohl im DSV als auch den meisten Landesverbänden gibt es ausschließlich ehrenamtlich tätige Ansprechpersonen für den Bereich Prävention sexualisierter Gewalt. Der amtierende DSV-Vorstand versichert, dass jegliche Meldungen im Bereich der sexualisierten Gewalt seit dessen Amtsbeginn aufgenommen und mit großem Engagement durch Frau Weber unmittelbar gemäß des seit 2019 bestehenden DSV-Präventionskonzeptes bearbeitet wurden. Der DSV-Vorstand hat dann die erforderlichen Maßnahmen im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft und umgesetzt.
Im DSV hat die Länderfachkonferenz (LFK) Bildung bereits im Sommer 2021 beschlossen, eine Arbeitsgruppe (AG) einzurichten, um die Zielstellungen, Inhalte und Umfänge des Themenkomplexes Prävention sexualisierter Gewalt und Kindeswohl in den Ausbildungen zum Erwerb der Trainer*innen- und Übungsleiter*innen-Lizenzen zu besprechen und der LFK entsprechende Vorschläge zu unterbreiten.
Die AG ist seit Januar 2022 aktiv und hat seither mehrere Sitzungen durchgeführt, in denen die Problemstellungen ausgearbeitet und verschiedene konkrete Lösungswege diskutiert wurden. Ziel ist es, dass das Thema Prävention von Gewalt stärker und verbindlich in der Aus- und Fortbildung von Trainer*innen aller Stufen integriert wird.
Die Prävention von Gewalt ist und bleibt ein Komplex, der im Ehrenamt schwer zu bewältigen ist. Der DSV schließt sich nochmals ausdrücklich der Forderung nach einer unabhängigen und übergeordneten Anlaufstelle für Athlet*innen inklusive der notwendigen finanziellen Ausstattung durch die öffentliche Hand an, um die Verbände in ihrer Präventionsarbeit zu unterstützen.”